David Chauvelle/Xavier Collette: Alice im
Wunderland
Wo bist du, guter alter
Donald?
Walt Disney – Lustiges
Taschenbuch Nr. 531 „Keine Zeit zu Lachen“
Von Sebastian Meyer
Der
Aufbau des ‚Lustigen Taschenbuchs‘ (LTB) „Keine Zeit zu Lachen“ ist
verwirrend: Die relativ langen DoppelDuck-Geschichten zieht sich durchs
ganz Buch, dazwischen eingestreut einige klassische DD’s und die neue
Fantasy-Sci-Fi-Sparte , die sog. „Donald Quest-Saga“. Die
Doppelduckstorys sind ganz nett – Donald rettet, diesmal nicht als
Phantomias, sondern als Agent DoppelDuck die Welt. Er legt den
WorldWideWeb-Server lahm, und abends kommt er pünktlich zur
Schultheaterpremiere der Neffen.
Theoretisch
ein ausbaufähiger Plot, wäre das Ganze nur nicht so ungeschickt
verknotet, dass man Handlungsfäden ins Nichts nutzt, um auszusteigen.
Zugegeben, die Bind-Idee ist lustig, aber man hätte – auch als LTB mit
Donald Duck- den Spaß in die Tiefe gehen lassen können, doch es bleibt
bei Anspielungen und Halbherzigkeiten. Und das ausgerechnet bei Bond!
Es ist
unübersehbar, dass die Macher des LTB versuchen, die wegbrechende junge
Leserschaft mit Fantasy-Elementen wiederzugewinnen – um den Preis, dass
alle anderen (eventuell auch jungen, aber nicht an Fantasymania
erkrankten) Leser überhaupt nicht mehr in die Geschichten reinfinden. Es
ist nur scheinbar jugendnah und Interessen treffend, wenn man als
argloser Donald-Fan und James-Bond-Connaisseur in diesem Band mit
unverständlichen Geschichten von irgendwelchen Märchenländern in
Computerspieloptik , die sich seitenlang durch den Comic ziehen,
konfrontiert wird. Was soll das?
Einige
klassische Anspielungen erfreuen umso mehr. Eine davon die
neuinterpretierte Hommage an den alten Donald der ersten LTBs. Das ist
schön – weckt aber doch den Wunsch, ihn wieder ganz erleben zu dürfen;
Donald ohne Action und Urzeitmonster, stattdessen mit zusammenhängender
Handlung. Ja, die gab’s! Was hier zäh und schwach daherkommt, könnte im
nächsten LTB wieder besser sein. Das nennt man Hoffnung!
Walt Disney – Lustiges
Taschenbuch Nr. 531
„Keine Zeit zu Lachen“
Egmont Ehapa Media 2020
256 Seiten, Euro 6,99
ASIN B085W2NLF5
Hoch
Transhuman
Asterix bei den Pikten
Von Sebastian Meyer
Ein
neuer Asterixband! Asterix wird weitergeführt, und zwar von zwei ganz
neuen Comic- Zeichnern bzw. -autoren, beide noch ausgesucht vom
hochbetagten Ur-Schöpfer Uderzo, der zusammen mit Goscinny Asterix
erfunden hat .
In dem kleinen gallischen Dorf taucht auf
einmal eine in Eis gefrorene Figur auf- ein Pikte, Mitglied eines
schottischen Stammes! Man taut den Pikten auf und bringt ihn zurück nach
Schottland, wo mal wieder gegen die Römer gekämpft wird. Die
Geschichte – typisch Asterix und Obelix. Und doch merkt man sofort, dass
Goscinny und Uderzo nur im fernen Geiste, in dem der Erfolgscomic am
Leben erhalten wird, mitgewirkt haben. Goscinny war ein Genie, und
schon, als er starb und Uderzo allein die Asterix-Bände übernahm, sank
die Qualität. Ohne Goscinny schaute es düster aus.
Das war auch bei Lucky Luke so. Man muss
sich daher fragen, ob es überhaupt gut ist, die Comic-Alben immer
weiterzumachen. Bei den Tim und Struppi-Alben hat der Autor verboten,
dass es nach seinem Tod einfach weitergeht. War das schlecht? Nein. Gut,
es gibt keine neuen Alben, aber dafür hat Tim und Struppi die
ursprüngliche Qualität nie eingebüßt.“ Asterix und Obelix“ und „Lucky
Luke“ werden qualitativ zerfleddert, es gibt zwischen den Alben solch
große qualitative Unterschiede, die Comic-Figuren nicht vertragen. Eine
Ausnahme bilden die Walt Disney Comics, wie Donald Duck oder Dagobert
Duck, sie vertragen mangels Finessen alles – sie sind angelegt auf
austauschbare Autoren. Über diese Comics kann man einfach immer noch
lachen, egal, welcher Kopf dahintersteckt. Aber der Sprachwitz, die
kenntnisreichen Details, die feinen Anspielungen, die kann es bei
„Asterix“ nicht mehr geben. Kopieren unmöglich – anders bei den Bildern.
In „Asterix bei den Pikten“ kommen die
Comicfreunde, die Freude an den Bildern haben, gänzlich auf ihre Kosten.
Da gelingt das geradezu symbolische transhumane Auftauen. Die Figuren
sind wieder ganz so, wie man sie nun seit vielen Jahren kennt,
Strichführung, Farbgebung, Charakteristika: Alles stimmt. Nicht ganz
unwichtig beim Comic, möchte man meinen.
Ferri / Conrad:
„Asterix bei den Pikten“
Übersetzt von Klaus Jöken
Egmont Comic Collection 2013
48 Seiten, Euro 12,00
ISBN 978-3770436354
Hoch
Nero war ein echt übler Typ
„Ente ante portas“
Von Sebastian Meyer
Donald
Duck ist so alterslos wie unsterblich. Also geht es immer weiter mit den
Abenteuern aus Entenhausen. Jetzt ist ein Sammelband erschienen, in dem
ausschließlich Abenteuer unter dem Motto „Die Ducks in der Antike“
gesammelt sind. Unsere bekannten Helden (Donald, Dagobert, Micky Maus
usw.) treffen wir hier im Alten Griechenland, bei den Olympischen
Spielen, in Pompeji und im Alten Ägypten. Natürlich bleibt auch in der
Antike Donald der Pechvogel und Dagobert reich und geizig. Der Witz,
dass diese Comic-Figuren all den Größen aus der Antike begegnen ist, -
ja, wirklich sehr witzig und veralbert natürlich alles, was für Latein-
und Griechisch lernende Kinder sonst trocken Brot ist. Micky Maus wäre
nicht Micky Maus, wenn nicht schlaue Aussprüche schlauer machen würden:
„Die Geschichtsbücher haben offensichtlich recht! Nero war echt ein
übler Typ.“ Oder Dagobert als Bürgermeister von Entopolis, genauso
geizig ist wie in Entenhausen. Und als geiziger, grantliger Pharao, der
das Alte Ägypten beherrscht. In „Ente ante portas“ finden sich viele
solcher Geschichten aus der Historie à la Duck, natürlich, wie immer, im
üblichen nicht zu tiefsinnnigen Entenhausen-Stil. Wer sich in die antike
Welt von Donald und Dagobert begibt, der hat vor allen Dingen was zu lachen.
Disney: Enthologien 19 - Ente ante portas:
Abenteuer in der Antike
Ehapa Egmont 2013
509 Seiten, Euro 15,00
ISBN 978-3770437412
Hoch
Können Comicfiguren ihre Zeichner
überleben?
Der „neue“ Asterix: "Die goldene Sichel"
im neuen Design
Von Sebastian Meyer
Ehapa
hat nun alle Asterix Bände neu koloriert und designed. Das Cover ist
komplett verändert worden, sogar mit einem neuen Bild. Kleine
Veränderungen gab es immer mal, aber diesmal ist man sehr weit gegangen:
Früher, in den ersten Bänden, ist Obelix scheinbar noch etwas ungelenk
gezeichnet, er ist noch dünner, hat einen größeren Kopf und die Streifen
seiner Hose sind deutlich schmaler. Das ist nun auch auf den
Umschlagbildern dem Obelix, wie er berühmt geworden ist, angepasst.
Außerdem geht das neue Cover viel mehr ins Detail und lässt das Bild
mehrdimensionaler erscheinen; man hat stärker auf Schattierungen
geachtet. Das alte Cover präsentiert deutlicher den Witz der
Asterix-Hefte, hier springt Asterix lachend in die Höhe, als er Lutetia
entdeckt, und Obelix lächelt leicht dümmlich, wie es so seine Art ist.
Auf dem neuen Cover aber
posiert Asterix stolz lächelnd vor dem etwas weiter unten gelegenen
Lutetia, während Obelix mit seinem Helm, ebenfalls stolz, nach unten
winkt. Das Cover ist nicht mehr klein und beschaulich, wie es vorher
war.
Im Innenteil sind die Farben nun in
Orange-Tönen gehalten. Manchmal ist es dunkler, manchmal heller als im
Original. Doch nicht nur Kleinigkeiten in den Farbtönen wurden
verändert, sondern, wie zum Beispiel auf Seite zwölf, auf der man einen
Mann sieht, der ein Fenster zuschlägt: Er hat im Original ein rotes Hemd
an, in der neuen Fassung aber ein blaues. Petitessen. Aber die Schrift!
Auch sie ist verändert worden und hat nun einen leichten Flimmereffekt.
Hätten man das Ganze lassen sollen? Nichts
verändern? Die „Asterix“-Hefte sind so erfolgreich, dass seit Jahren
neue Bände erscheinen, die weitaus schwächer sind als die
furiosen
Abenteuer, die Asterix aus Goscinnys Feder erlebte. Der Erfolg frisst
seine Figur. Es darf angesichts eines solchen kommerziellen Sieges kein
Ende geben, scheint es.
Bei der Lucky Luke-Reihe ist es dasselbe.
Es kommen immer wieder neue Alben raus, wie zum Beispiel gerade „Auf
eigenen Beinen“ von immer verschiedenen Zeichnern und Textern, es ist
nie eine klare Linie drin, jeder zeichnet dann doch anders und jeder
Autor schreibt anders. Lucky Luke hat jetzt nicht mehr nur ein Gesicht
oder zwei (was es auch bei lebenden Menschen geben soll), sondern er hat
tausende.
Aber das neue „Asterix“-Design ist, um
einen Begriff aus anderen Branchen zu verwenden, ein Facelifting.
Asterix und Obelix sollen verjüngt weiterleben und vor allem weiterleben
können. Verhindert wird damit, dass Asterix neben dem musealen wert, der
ihm sicher ist, auch für Kinder der Gegenwart existent bleibt. So soll
es sein!
Uderzo / Goscinny:
"Die goldene Sichel"
Ehapa Egmont 2013
46 Seiten, 12,00 Euro
ISBN978-3770436057
Achdè:
"Auf eigene Faust"
Ehapa Egmont 2013
48 Seiten, 12,00 Euro
ISBN978-3770436989
Hoch
Fett, faul
und ein Kater - Garfield
Jim Davis: "Garfield Gesamtausgabe
1"
Von Sarah
Ludwig
Fett,
faul und ein Kater- Garfield, fast jeder kennt die kurzen Comic-Strips,
in denen es um den verfressenen Kater geht. Band eins der Gesamtausgabe,
den wir uns genau angeschaut haben, ist ein gutes Garfield-Starter-Set.
Dieser beabsichtigt unsympathische Kater,
dessen Charaktereigenschaften Faulheit, Verfressenheit, Jähzorn,
unnötige Gewalt und Schadenfreunde sind, bringt einem immer wieder zum
Lachen, sein Verhältnis zu seinem Besitzer Jon wohl am meisten.
Besonders Garfields philosophische Gedanken, häufig über das Essen,
liegen erstaunlich nahe an der Realität. Garfields direktes Umfeld
bringt den Kater immer wieder zur Verzweiflung, besonders Odie, ein
Hund. Allerdings stellt man sich oft die Frage, ob Garfield nicht eher
die anderen zur Verzweiflung bringt.
Der Comiczeichner Jim Davis
veröffentlichte seinen ersten Garfieldstrip in mehreren Zeitschriften
gleichzeitig im Juni 1978. Diese ganz neue Art des Comicstrips wurde ein
riesiger Erfolg und Garfield ist bis heute einer der beliebtesten Kater
Welt, der über 250 Millionen Leser hat.
Davis selbst hat auch klein angefangen.
Seine erste Idee, „Gnorm the Gnat“, wurde nach fünf erfolglosen Jahren
abgesetzt und Davis ließ die kleine Mücke einfach tottrampeln.
Eine große Comic-Kunst ist „Garfield“
nicht, die Strips sind anspruchslos, aber einfach total witzig.
Garfield, der wie aus dem echten Leben
ist, ein unverbesserlicher Pessimist, ist für Kinder und Erwachsene
immer wieder ein Vergnügen!
Jim Davis:
"Garfield Gesamtausgabe 1"
Ehapa Egmont 2006
320
Seiten, 29,90 Euro
ISBN978-3770430475
Hoch
1000 Jahre Steineklopfen
Goscinny
/ Morris: "Lucky Luke. Die Eskorte"
Von Julia
Schneider
Band 44 der berühmten Lucky-Luke-Reihe
ist -in festem Einband-anzuzeigen.
Ein weiteres Meisterwerk von Goscinny mit den unvergleichlichen Zeichnungen
von Morris: In diesem Band geht es (auf ein Zweites) um Billy the Kid,
der aus dem berühmt-berüchtigten Gefängnis, den Daltons nur zu bekannt, von Lucky Luke nach New Mexico eskortiert werden soll, um dort
zusätzlich zu den 1000 Jahren Steineklopfen noch einmal verurteilt zu
werden. Das geschieht natürlich nicht ganz ohne Zwischenfälle, die
abzuwenden es ja Lucky Luke und und sein Pferd Jolly Jumper gibt.
Goscinny und Morris - was für ein Team! Die Zusammenarbeit der beiden Künstler
begann im Jahr 1955 mit „Die Eisenbahn durch die Prärie“ mit noch etwas
holprigen Zeichnungen von Morris. Morris, der schon mehrere Bände über
den Cowboy mit seinem treuen Pferd veröffentlicht hatte, war noch mitten
in der Entwicklungsphase des Comics, als er Goscinny traf. Erst mit dem
Texter wurde der Held zu dem, was er heute ist. Trotz aller Versuche,
die "Lucky Luke"-Reihe weiterzuführen und sowohl Zeichner als auch Texter zu ersetzen,
bleiben die guten, alten "Lucky Lukes" doch die besten.
Die
nächste Verwandtschaft zwischen klassisch zu nennender Kultur und
ultraleichter Unterhaltung ist ihre Langlebigkeit. Micky Maus, vor 60
Jahren aus der kreativen Taufe gehoben, hält sich mit einer Zähigkeit,
die vom Mittelbau der Unterhaltungsliteratur nicht zu vermelden ist. Es
gibt bald Menschen, die ins Pensionsalter kommen und ihr ganzes Leben
vom "Lustigen Taschenbuch" begleitet wurden. Sind uns heute eher
"Hausschätze" mit Balladen und Sagen als ewige Begleiter vertraut,
dürfte man schon heute mit Fug und Recht eine Reihe "Dagobert Duck"
daneben stellen.
Warum das so
ist? Dazu gibt es viele Thesen, nicht wenige auch aus der Wissenschaft.
Das Institut für Jugendbuchforschung an der Frankfurter
Goethe-Universität pflegt ein eigenes Comic-Archiv mit über 50.000
Medien, das Forschungszwecken zur Verfügung steht. Eine plausible
Erklärung hängt mit dem Siegeszug des Comics allgemein zusammen, und sie
macht auch die meisten Sorgen für die Zukunft. Die nächste
Micky-Maus-Lesergeneration relaxt nicht mehr vor bunten Bildchen im
Buch, die sind im Netz unterwegs und pflegen einen ganz anderen
Aufregung-Abspannung-Rhythmus. "Micky Maus" braucht aber Masse, um
weitergetragen zu werden, die kleine Fangemeinde genügt hier nicht. Das
eindimensionale Schema der Charaktere funktioniert nur dann, wenn alle
es kennen -
Dagoberts
Geiz und Gier als stehender Begriff, für alle verständlich.
Gut, Zukunft
ist morgen. Heute ist das sechzigjährige Jubiläum. Ehapa Egmont, der Verlag der Comics,
gibt
„Sonder-Kollektionen“ Lustiges Taschenbuch heraus: Die erste
Micky-Maus-Zeitschrift von 1951 in Originalausgabe., drei Alben: Das
Beste von 1951 bis 1970, von 1970 bis 1991 und von 1991 bis heute, vier
Bände Sonderedition Panzerknacker und noch vieles mehr.
Eine gewisse Genialität strahlt das
"Lustige Taschenbuch" aus, sieht man sich einmal die Duck-Dynastie an:
Ein ganzer Stammbaum wurde hier gegründet: Angefangen bei Sir Dämelak
Duck und Sir Daunenstert Duck, der Schottische Clan der Ducks und dann
die Erpel-Linie, die mit Emil Erasmus Erpel beginnt, die sich
allerdings erst in der Generation Dagoberts mit der dem Clan der Ducks
mischt. Eine ganze Welt wurde hier geschaffen. Zum totalen
Drin-Abtauchen.
Ja, vielleicht ist es deswegen sogar ein Muss für jeden
Comic-Fan. Und da ist es natürlich ein Traum, dass nun das Jubiläum ist
und ein Haufen, neuer, toller "Lustiger Taschenbücher" auf den Markt
kommt. Zum Räsonnieren über Tradition und Erfolg der Typen und ihrer
Abenteuer lädt das in jedem Fall ein.
David Chauvelle / Xavier Collette: Alice im
Wunderland
Von Steffen Wunder
Wer kennt sie nicht? Die berühmten
Abenteuer von Alice im Wunderland: Sei es der Fall durch das
Kaninchenloch, sei es die verrückte Teegesellschaft, die Erlebnisse
dieses Mädchens sind inzwischen auch hierzulande bekannt. In England ist
dieses Buch einer der Klassiker schlechthin. So ist es nicht
verwunderlich, dass es im Laufe der Zeit in zahlreiche Medienformen
transformiert wurde. Vom frühen Stummfilm bis zum aktuellen Kinoprogramm
sind unzählige Verfilmungen entstanden, daneben auch Theaterstücke,
Opern, Musicals, Hörspiele, Bilderbücher und Comics. Da könnte man
meinen, die vorliegende Comicadaption wäre völlig überflüssig. Doch weit
gefehlt! Chauvelles und Colettes Comic ist etwas Besonderes.
Die Geschichte ist bekannt. Alice gelangt
durch ein Kaninchenloch in eine verrückte Welt, in der sie allerhand
merkwürdige Gestalten trifft. Ständig wechselt sie ihre Größe und
durchschreitet die sonderbarsten Orte. Als sie zum Schluss vor Gericht
angeklagt ist, wacht sie plötzlich auf und merkt, dass alles nur ein
Traum war. Im Gegensatz zu den meisten Adaptionen hat Alice hier nicht
blondes, langes Haar, sondern ist schwarzhaarig mit modernen,
schulterlangen Schnitt. Dadurch wirkt sie auf den ersten Blick frecher
und mutiger. An der Originalgeschichte wurde wenig verändert. Alle
Episoden kommen auch im Comic vor, auch wenn sie manchmal inhaltlich
etwas gekürzt sind. Diese Kürzungen sind aber mehr Gewinn als Verlust,
denn der Kern der verschiedenen Abenteuer bleibt erhalten und die
Handlung verstrickt sich nicht zu sehr in Einzelheiten. Diese geht
flüssig voran, denn jedes Bild ist auf das vorhergehende und nächste
abgestimmt. Keines ist zuviel. Daher fällt es schwer, das Buch aus der
Hand zu legen, denn diesem Erzählfluss schwingt eine unbeschreibliche
Spannung mit, die neugierig auf alles macht, was in der Erzählung folgen
wird. Es spielt dabei keine Rolle, ob man die Handlung bereits kennt
oder nicht. Wenn man durch diese interessante Erzählweise, die so
allerdings schon in Carrolls Vorlage vorhanden ist, ergriffen wird, ist
das inhaltliche Ziel unerheblich.
Während die Story traditionell nacherzählt
wird, rücken die Bilder den Stoff in ein+
, neues Licht. Sie sind düster
und beinahe gruselig. Dadurch kommt nur nach wenigen Blicken eine
fantastische Stimmung auf. Die Farbtöne innerhalb eines Abenteuers sind
auf einen Grundton abgestimmt. So herrscht z.B. im Haus der Herzogin
eine grünliche Stimmung oder im Rosengarten eine rosa Stimmung. Alice,
die in allen Abenteuern vorkommt, ist demnach in schwarzweiß gehalten,
um als menschliche Projektionsfläche sich den Farben der Abenteuer
anzupassen. Doch so unterschiedlich die Farben der verschiedenen Orte
auch sind, sie wirken niemals bunt oder gar überladen. Eine dunkle,
unheimliche Stimmung ist immer sichtbar. Genau diese Stimmung trägt auch
Alice die ganze Zeit in sich. Daran kann der Betrachter durch die Bilder
teilhaben.
Die Einzelbilder sind sehr aufwendig
gestaltet. Jedes Bild ist ein Kunstwerk für sich, das man vergrößert
ohne weiteres an die Wand hängen könnte. Die Figuren und Gegenstände
sind beängstigend realistisch. Sie springen nahezu aus den Bildern
heraus. Obwohl einige Figuren wie die Falsche Schildkröte an die
Originalillustrationen angelehnt sind, hat der Zeichner meistens seinen
eigenen Stil gefunden und seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Die
Figuren wirken daher einzigartig. Die Möglichkeiten des Comics wurden
komplett ausgenutzt. Die Bilder sind wohl überlegt platziert. So stellen
bei Alices Fall fünf langgezogene, nebeneinandergereihte Rahmen die
Tiefe dar. Auch in der Wahl der gezeigten Abbildungen war man nicht
weniger einfallsreich. Man sieht oft unterschiedliche Größen des
Gezeigten, von Panoramen bis Großdarstellungen. Durch interessant
gewählte Perspektiven sind die Bilder nicht nur vielaussagend, sondern
wirken verwirrend, was ideal zur Geschichte passt. Außerdem wird der
Betrachter dadurch zum Nachdenken angeregt; er muss erst einmal
überlegen, was er auf dem Bild sieht. Die Veränderungen von einem Bild
zum anderen sind oft nur minimal, sodass man auch Kleinigkeiten wie
Gesichtsausdrücke, die sich verändern, beobachten kann.
Die bekannten witzigen und unsinnigen
Dialoge funktionieren auch im Comic hervorragend. Die Wortspiele und
intertextuellen Anspielungen machen die Geschichte für jedes Alter zum
Genuss. Die Übersetzung, die aus dem Englischen über das Französische
ins Deutsche gemacht wurde, weist Ähnlichkeiten mit der Version von
Antonie Zimmermann auf, in der die entsprechenden Stellen kongenial
übertragen sind. Nur an wenigen Stellen funktionieren die Wortspiele
nicht, z.B. wenn die Maus ihre lange, traurige Geschichte erzählt.
Alices Gedanken wirken in Sprechblasenform manchmal etwas aufgesetzt,
sodass man sich wünscht, der Autor hätte sich eine etwas kreativere
Lösung einfallen lassen, um die Gedanken dem Leser mitzuteilen. Auch ein
paar Kleinigkeiten wirken unkonsequent. So bemerkt Alice, als sie durch
eine Tür in einen Garten kommen möchte, sie könnte unter der Tür
hindurch kriechen, wenn sie kleiner werden würde. Doch die kleine Tür in
der Wand ist auf Augenhöhe ungebracht.
Diese Comicversion von „Alice im
Wunderland“ überzeugt vor allem optisch. Bezüglich der Handlung bietet
sie wenig Neues. Das setzt die Qualität diese Werkes keinesfalls herab,
aber erhebt sie auch nicht über andere Adaptionen, wäre nicht der
unverwechselbare Stil. Im Großen und Ganzen ist den Comicautoren ein
ausgezeichnetes Kunstwerk gelungen.
(Für jedes Alter)
David
Chauvelle:
"Alice im Wunderland"
Illustriert vonXavier
Collette
Aus dem Französischen von Tanja Krämling
Splitter Verlag 2010
72 Seiten, Euro 15,80
ISBN: 978-3940864116
Der Rezensent ist Kinderbuchautor
und Kritiker. Zuletzt ist von ihm
der philosophischen Abenteuerroman
„Also bin ich ein Pinguin“
erscheinen.
Lieber dieses Buch als 10
`Lustige Taschenbücher´!
"Onkel Dagobert. Sein Leben, seine
Milliarden"
Wenn man dem
erstaunlichen Erfolg von den Duck-Geschichten und Disney auf den Grund geht,
fragt man sich natürlich als erstes, warum diese schwachsinnigen und schlechten
Comichefte so einen Erfolg haben. Die Antwort liegt mit diesem dicken Buch
vor; es verweist auf die Wurzel des
Erfolges. In Disneys "Onkel Dagobert. Sein Leben, seine Milliarden" sind
die Bilder zeichnerisch perfekt, und auch die Texte in den Sprechblasen
sind pointiert, lustig, gut. Der Unterschied zu den anderen Büchern oder Heften:
In diesem Buch ist die Geschichte des reichen, geldgierigen, geizigen
Dagobert in Comic-Strips zusammengefasst.
Es
ist sehr amüsant und speziell, einer Figur eine Vergangenheit zu basteln
und diese auch an wahrer Historie teilnehmen zu lassen. Es
ist um Längen besser als die Heftchen, es ist, man wagt es kaum zu
sagen: originell!
Lieber dieses Buch als 10
`Lustige Taschenbücher´!
"Onkel Dagobert" ist
etwas, das man wirklich bei sich zuhause braucht, an den Plätzen liegen
haben muss, wo die Familie, einzeln oder zusammen, entspannt. Mit
Tiefsinn dahinter: Was muss es Spaß machen, so eine
Biographie zu gestalten und Lücken zu füllen! Das kann man selber
nachmachen und immer mehr dazu erfinden. Im Ernst: Disney hin oder her -
dieses Buch dient nicht zum Verblöden.
Don
Rosa:
Disney's Onkel Dagobert - Sein Leben, seine Milliarden: Die
Biografie von Don Rosa
Übersetzt von Elvira Brändle, Michael Nagula, Arne Voigtmann, Peter
Daibenzeiher, Jano Rohleder
Solche Gesichter, solch eine Freiheit des Zeichner
In besonderer Ausgabe: "Blueberry"
(librikon) Nichts für Leser unter zwölf
ist „Blueberry“. So wenig es im Wilden Westen zimperlich zuging, so
wenig zimperlich geht es in dem Comic von Jean-Michel Charlier (Text)
und Jean Giraud (Bilder und Text) zu. Es ist nicht nur die Pistole im Anschlag,
es ist auch die hyperrealistische Art der Zeichnungen. Von der alle
kindlichen Gemüter ansprechenden, vereinfachenden Farb- und Formgebung,
für die der Comic bekannt und verrufen ist, ist „Blueberry“ weit weg;
sollten manche meinen, der Comic könne nicht erwachsen werden – hier
werden sie eines besseren belehrt. Blueberry ist ein Held, den man
ernstnehmen, in den man sich vertiefen kann. Das muss man auch:
Mitdenken setzt Texter Charlier voraus und lässt weg, was der Handlung
abträglich wäre. Der Wilde Westen bekommt hier das Gesicht des
Western zurück – und durchlebt für den jungen Lesern noch einmal seine
großen Abenteuer, die, selbst unter Berücksichtigung der historischen
Realität, sehr viel an Eintauchen und Mitfiebern bereithält. Hollywood
kann wegen der bekannten Erzählmaschinerie solche Gesichter, solch eine
Freiheit des Zeichners nicht hervorbringen. „Blueberry“ ist ein
Qualitätscomic. Er erscheint gebunden und als Art Werkausgabe, und zwar
diejenigen "Blueberry"-Geschichten, an denen Jean Giraud beteiligt war
(die marktgängigeren, späteren Bände sind ohne Giraud und seine
Originalität angefertigt worden). Achtet auf diese Ausgabe!
(librikon) Es gehört zur Konzeption dieses
festgebunden Sammelbandes, Klassiker des Comics zu präsentieren. „Die
Minimenschen“ sind genau das und Pierre Seron, ihr Schöpfer, genau so
ein Altmeister, wie man ihn sich zur Wiederentdeckung wünscht. Seine
Zeichnungen sind eine Mischung zwischen Tintin und Superman (na ja, in
besserer Qualität als Superman), sie atmen eine Zeit, in der jeder Comic
eine schöpferische Leistung war.
Die Grundidee – die Minimenschen sind
aufgrund eines biologischen Unfalls mini und erleben nun ihre Abenteuer
mit den großen Menschen- gibt ein Passepartout ab für durchweg
originelle Stories. Serons Hauptfiguren sind sympathisch und nett, man
mag sie, und das tut gut. Ein großer Lesespaß! Dazu erleben kleine Leser
alles, was man als Kind gern erleben möchte, ist überall dort, wo man
sich oft hineinträumt.
„Die Minimenschen“ sind ganz nah an der
Vorstellungswelt der Kinder. Eben darum ist ihr Wert so hoch.
Ein ganz besonders gutes Stück Comic ist
in sammelfähigem, lang haltendem Hardcover erschienen: „Der
Kopfgeldjäger“, Lucky-Luke-Band 43. Da sind alle Werte drin, die man aus
dem echten Leben kennt und die ein guter Comic deshalb niemals
verleugnen würde. „der Kopfgeldjäger“ beruht auf der Tatsache, die jedes
echte Kind bestätigt: Petzen sind das letzte, und die jeder Erwachsene
bestätigt: Petze bleibt Petze.
Goscinny geht hier den konsequenten
Wild-West-Weg, da wird aus der Petze natürlich der Kopfgeldjäger. Eine
miese Ratte eben.
Denn so anarchisch es bei Lucky Luke
zugeht, so anständig ist es zur gleichen Zeit. Hundert
„Sekundärtugenden“ sind nichts gegen einen Bruch der Grundregeln. Wir
kennen das ja aus der Schule; wer einen beim Lehrer verpetzt, kann gern
das ganze Jahr pünktlich morgens kommen. Egal. Wer einen guten Instinkt
hat, geht ihm aus dem Weg, ein Leben lang. Lucky Luke wird auf solche
Typen eben einfach angesetzt, der muss sich kein Besserwisser-Gerede,
das einen ganz sicher nicht durchs Leben und in die richtige
Gesellschaft bringt, anhören. Lucky Luke, allein gegen alle, und er
darf, ja, muss sich immer selber treu bleiben. Kein Verbiegen! Darum
lieben ihn die Kinder!
„Isnogud“ ist ein Goscinny aus dessen
Comicfrühzeit; Anfang der sechziger Jahre begann er zusammen mit dem
Zeichner Tabary, für eine Zeitschrift die kleine Serie zu ersinnen. Es
ist bis heute, da die Gesamtausgaben der Abenteuer des machtgierigen
Großwesirs „zu Bagdad, der prächtigen“ gebunden und mit Einführungstext
herausgegeben werden, ein Comic für kleinere Comicleser, solche von
sieben, acht Jahren. „Isnogud“ weckt Bilder und Phantasie, die geradezu
aufführfähig ist; der schläfrige, vollgefressene, nach Abwechslung
suchende Kalif, der immer denselben Satz wiederholende Großwesir, der
dümmliche Diener: Das alles ist ein Personal wie aus dem Kindertheater,
eindeutig, berechenbar, lustig. „Isnogud“ ist eine gelungene Adaption
der Märchen aus 1001 Nacht, auch wenn es deren Vielschichtigkeit
zugunsten nur eines ausgewählten Aspektes beiseitelegt. Die
Albernheiten, die Späße sind sehr direkt (und freundlich – „Die Reichen
bündeln ihre Wertsachen… Die gesammelten Werke Goscinnys, illustriert
von Tabary“ – schlüpft in den Comic hinein), die Abenteuer kurz, die
Anspielungen verständlich. Das Schema von Handlung und Ziel der
Geschichten bleibt sich (darin ganz Zeitungsfortsetzungscomic) immer
gleich, was für die Lesealter, die die Wiederholung brauchen und lieben,
optimal ist. Meisterlich ist der Einsatz der Epitheta. Sprachlich sind
Comics, so sie von Goscinny sind, wahrlich kein dunkler Abgrund.
Goscinny
(Text), Tabary (Zeichnungen):
„Die
gesammelten Abenteuer des Großwesirs Isnogud“
Einige werden schon beim Titel "Heureka!"
schreien, andere, die kulturell weniger bewandert sind, werden sich erst
jetzt mit der "Zauberflöte" befassen - nun, wo sie wissen, dass daraus
ein Comic gemacht worden ist.
Dem Reiz der originellen Idee kann man
sich nicht entziehen, eine alte Oper ins 21. Jahrhundert in dieser Form
zu transportieren. Auf diese Weise finden vielleicht auch die, die mit
Opern sonst nichts am Hut haben, einen Zugang dazu. Schließlich sollen
mit den Illustrationen alle Alterklassen abgedeckt werden, das Thema für
die älteren Kinder, die Bilder für die jüngeren. Dieser Anspruch wurde
sehr gut umgesetzt!
Die Grafische Leistung - sehr gelungen,
und -bei einem Manga last, but not least: Die Bilder sind hammermäßig!
Die Lobeshymnen sind einzig zu
unterbrechen für die Anmerkung, dass die Geschichte teilweise
unübersichtlich ist, man kann ihr an manchen Stellen nur schwer folgen,
sodass es gut wäre, wenn man die Handlung schon vorher kennt. Die Witze,
nun ja, sind manchmal so wenig komisch, dass selbst ein Schmunzeln
schwerfällt.
Das Gesamtbild trübt das nicht.
Ich meine, dass Mozart stolz sein könnte, wie seine Oper in diese Form
gegossen wurde.
Gottmann,
E., Netolitzky, K., Windorfer, G., Mozart, W.A.:
Für
meine Mutter war „Asterix“ das Ende des Abendlandes, Inbegriff der
Verflachung: „Was Euer Bild von der Antike prägt!“, rief sie, wenn wir
alle, die wir eigentlich Latein und Griechisch lernten, um geistig aus
dem Vollen zu schöpfen, auf den Betten lagen und uns gegenseitig
Sprechblasen aus Asterix vorlasen. Wie jeder Ignorant war meine Mutter
grenzenlos naiv. Hätte sie doch nur ein einziges Mal Asterix gelesen,
gar, mich gefragt, welches das beste Heft ist! Meine Antwort lautete
damals wie heute: „Asterix und der Avernerschild“ (Band 11). Dann wüsste
sie, dass „Asterix“ das Geschichtsbild nicht geprägt hat, lächerlich!;
nein, "Asterix" hat die Geschichte bestimmt. Warum wusste man lange
nicht, wo Alesia liegt? Weil die Gallier über ihre Niederlage nicht
sprechen wollten! Wo ist der Schild des Gallierhäuptlings Vercingetorix
hin? Den hat natürlich kein anderer als Majestix! Und dann noch diese
ganzen herrlichen Stereotypen (die Averner, die alle nur Kohle und Wein
verkaufen)… „Asterix und der Avernerschild“ nimmt die Gattung Comic
ernst. Da ist einerseits ein Aufbau, eine Verknüpfung im Kleinen und im
Großen wie bei einem Roman, und andererseits wird das einzelne Bildchen,
die Miniszene am Rande, die Pointe einer jeden Sequenz nicht
vernachlässigt. Ein fröhlicher Comic, dem man das Serienkorsett nicht
anmerkt, der dadurch noch eine Spur anarchischer ist als die anderen
„Asterix“-Hefte.
Es sind schlechte Zeiten für einen wie
Wilhelm Busch. Man braucht freiheitliche Intelligenz, Humor und Sinn für
Anarchisches, um sich ihm zu nähern. Von all dem haben sich die
Denkenden verabschiedet. Wir erleben es leidvoll in unserem Alltag, den
mehr und mehr gefährlich engstirnige Miesepeter beherrschen wollen.
Humorlosigkeit ist so wichtig wie Kinderlosigkeit, um den Weg nach oben
zu finden; die Humorlosen sind brutaler, sie rächen sich für alle
Niederlagen, sie sitzen abends und schmieden Pläne, wie sie denen mit
Lebensfreude das Handwerk legen können. Leute mit Humor werden
heutzutage gern gar nichts mehr, sie machen Späße mit ihren Kindern, sie
rauchen eine schöne Zigarette in der Abendsonne und zitieren aus Wilhelm
Busch. Selbst Buchautoren werden sie in dieser biestigen Welt nicht
mehr, zumal solche von Biographien – da ist es besonders bitter, denn
Menschliches muss da der rote Faden sein. Es ist schon zum Schütteln als
Wilhelm-Busch-Liebhaber, was man da lesen muss. In einer Biographie
(Michaela Diers: „Wilhelm Busch. Leben und Werk“, dtv 2007) erblödet
sich die Autorin nicht, das Wort Errungenschaft in Bezug auf Rauchen
in Häkchen zu setzen. Sie wäre also eine von denen, die auch Wilhelm
Busch das Rauchen untersagen würde. Ja, er ist am Rauchen und Trinken
gestorben – er ist an seiner Lebensform gestorben, an seinem Leben
gestorben; keine einzige seiner künstlerischen Leistungen gäbe es ohne
dieses, genau dieses Leben. Die Autorin schreibt ihr Buch wie einer
dieser Autofahrer, der die anderen Autos durch provokant langsames
Fahren erziehen will. Und Erzieherisches, Besserwisserisches hat Wilhelm
Busch ja genau nicht! Es fehlen die charakterlichen
Grundvoraussetzungen, es fehlt die Fähigkeit, sich in andere Zeiten
einzufühlen. Eine Biographie unserer Zeit.
Auch Max und Moritz haben heute nichts
mehr zu lachen. Für die Zeitgenossen von Busch waren Witwe Bolte, Lehrer
Lämpel, Schneider Böck geradezu Archetypen. Man existierte in einer
Gemeinschaft, enge, zum Spott herausfordernde Nachbarschaft prägte das
Leben – so wie wir es heute oft nur noch von der typischen
Schwiegermutter, unter der man leidet und über die man witzelt und
spottet, kennen - und dazwischen tobten Kinder, die handfeste Streiche
machten. Sie waren Teil des Lebens, und jeder musste mit ihnen leben.
Die massenhafte Entfremdung der Singlegesellschaft davon, hilft Wilhelm
Buschs Figuren nicht gerade. Über die Grausamkeit von Max und Moritz’
Ende schüttelt ja am meisten den Kopf, wer in Erziehungslager stecken
will, wer nicht sieht, dass Max und Moritz nicht aus Fleisch und Blut
sind, wer mangels Nähe zu Kindern nicht sieht, dass Comicfiguren einfach
so zermalmt werden können. Kinder bringen Erwachsene ständig auf die
Palme; Kinder werden wieder liebevoll getröstet; ganz normal. Nur die
Kinderentwöhnten werden damit nicht mehr fertig: Dass ja kein Kind
glaubt, es würde enden wie Max und Moritz. Einer der Tiefpunkte des
heutigen Wilhelm-Busch-Verständnisses stellt daher ein Vergleich dar,
den die Autorin einer anderen Biographie bringt (Gudrun Schury: „Ich
wollt, ich wär ein Eskimo. Das Leben des Wilhelm Busch“ Aufbau Verlag
2007). Sie findet es eine gute Lösung, Max und Moritz zu Korn zu
verarbeiten, bedenke man doch die Probleme der Leichenentsorgung in dem
Film „Fargo“. Es zeigt sich, dass auch hier nicht Menschliches der rote
Faden ist (o Kinder, ihr fremder Planet!), und nur das hätte den Weg auch zum
Verständnis der künstlerischen Leistung Buschs geebnet. Max und Moritz
fügen übrigens nur Erwachsenen Übles zu. Darin liegt eine unbestreitbare
Parallele zu den genannten Biographien.
(librikon) Und nun Band 2 der
Hägar-Gesamtausgabe! Die kurzen Strips, die knallende Pointe – alles wie
gehabt. Nur etwas eindeutiger: Die Beziehung von Helga und Hägar ist
althergebrachtes Eheklischee, das Kind bleibt Kind, die Späße sind die
üblichen. Heute ist „Hägar“ vielleicht sogar noch eine Spur lustiger als
zur Entstehungszeit: Die Mütter und Väter, die - so sie sich nicht unter
Mühen ausklinken – morgens loshetzen, am späten Nachmittag die
abgekämpften Kinder absammeln, am Abend merken, dass ihnen persönlich
ihre Arbeit gar keinen Wohlstand bringt, die haben zwar in mancherlei
Hinsicht Wikingerqualität (wann kommt der Ausbruch?), aber Zeit für das,
was bei „Hägar“ im Vordergrund steht, haben sie gar nicht mehr. Die
Scherze, die Ewigkeitsanspruch haben und deshalb so viel Freude machen
(Helgas weibische Eifersüchteleien, Hägars maskuline Dümmlichkeiten),
benötigen alle den sozialen Rahmen Familie und Gemeinschaft. Weggekürzt,
aber lebendig kann man ihn zusammen mit „Hägar“ erleben; Köpfe
zusammenstecken und die Abendstunden nutzen, um gemeinsam „Hägar“ zu
lesen. Sich die Späße beim Einschlafen noch einmal erzählen,
kaputtlachen. Heiße Empfehlung für "Hägar" – richtig etwas fürs
Familienleben.
Dik Browne:
Hägar der Schreckliche Gesamtausgabe 2 (1975 bis 1977)
Der
Aufbau der Geschichte stimmt. In „Tortillas für die Daltons“ (Band 28)
geht es nicht um einen einfachen Ausbruch der Daltons. Nein: Sie werden
geklaut. Ein mexikanischer Verbrecher hält die Kutsche für eine
Postkutsche, entführt sie nach Mexiko und bringt damit die Verbrecher
Daltons außer Landes. Diplomatische Verwicklungen! Mexiko droht den USA,
sie sollen ihre Kriminellen im eigenen Land behalten und erinnert
unsanft an vernichtende Niederlagen der US-Amerikaner… Die USA zucken
zusammen und parieren. Sie senden ihre Superspezialgeheimwaffe. Lucky
Luke reitet durch Mexiko, durch Dörfer während der Siesta und fragt
sich, was die Daltons da eigentlich wollen. Und die? Sie üben für ein
Musikfestival, wo sie als mexikanische Musiker auftreten wollen, um es
dann zu überfallen. Ihr Lehrer will sich dauernd aufhängen – die Daltons
brüllen nur anstatt zu singen. Klingt jetzt blöd: Aber der ganze Comic
ist zum Brüllen. Der beste „Lucky Luke“.
Kinderschutz, der keiner ist, ist
Kindergefährdung
Von Ole de Vries
Ein echter Cowboy ohne Zigarette? Aber ja!
Lucky Luke musste mit dem Rauchen aufhören. Dagegen ist ja im Grunde
nichts einzuwenden. Im Grunde – doch bei jedem Weiterdenken gelangt man
dazu, das Rauchverbot zu verbieten.
Entstanden ist der Wechsel von Kippe zu
Grashalm im Mundwinkel aus dem Willen, die Kinder schützen zu wollen vor
einem schädlichen Vorbild. Was für ein Fehlschluss! Schutz funktioniert
nicht, indem Kinder keiner rauchenden Comicfigur anschauen dürfen,
sondern, indem Kindern zu Stabilität verholfen wird. Hier sollen Kinder
in Wahrheit vor dem Erwachsenenwerden, vor selbständigen Entscheidungen
geschützt werden: Ein Sechsjähriger greift nicht zur Zigarette! Die
Angst ist ja wohl eher, dass er es mit 16 tut.
Aber ist ein rauchender Comiccowboy die
Ursache für spätere Raucherkarrieren? Natürlich nicht. Das weiß jeder.
Der Hase liegt ganz woanders im Pfeffer.
Lucky Luke wird ohne Rauchen zu einer
unglaubhaften Figur, sein Reiz gerade für Jungs (die durch ihn zum Lesen
kommen könnten) liegt auch in seinem Wahrzeichen, der Zigarette im Mund.
Doch die Selbstverpflichtung, eine Art „good governance“ des Verlages,
verlangt nach einer Zigarettenethik, die es so, abgesplittert von Ethik,
nur noch im schiefen Begriff „Wirtschaftsethik“ gibt. Und aus der Ecke
kommt das Rauchverbot für Lucky Luke auch: Aus der Gedankenkürze eines
Managements, das in Konzernstrukturen, nicht aber in kulturellen
Zusammenhängen denkt. Unter Managern grassiert schon lange der
Gesundheitswahn als Sinnersatz (und oft als: Kindersatz). Unter die
verschlägt es nur, wer sich in Fitness-Clubs abstrampelt, während
selbständig denkende Menschen darüber nur den Kopf schütteln und einen
weiten Bogen um die Management-Etagen machen.
Die Fitness-Herren müssen Feinde der
Lucky-Luke-Kultur sein! Freiheit war ihnen immer fremd. Was sie verpasst
haben, soll nun auch kein anderer haben dürfen – schon gar nicht die
Kinder anderer Männer. Im Gefolge hängt sich dann an Politikern und
Pädagogen dran, was eilfertig keinen Trend von Erfolgreichen verpassen
will. Wir müssen davon ausgehen, dass Menschen mit Mut, mit echtem
Verantwortungsbewusstsein Lucky Luke weiterrauchen lassen würden. Lucky
Luke beim Rauchen zu sehen, ist nicht schädlich; schädlich ist es zu
suggerieren, ohne Zigaretten in Comic und Kinderliteratur würde ein Kind
nicht auf die Idee kommen zu rauchen. Kinderschutz, der keiner ist, ist
Kindergefährdung. In diesem Sinne empfehlen wir heiß die Bände 43 und 44
von Lucky Luke, die - neu aufgelegt - den Helden nur auf dem Cover mit
Grashalm zeigen und innen noch immer das gute, überzeichnete
Cowboyleben, wie es eben war. Mit Zigarette!
Über die Gesamtausgabe von "Hägar der Schreckliche"
Von Klaus Schikowski
Wer
kennt sie nicht, diese kleinen Comic-Strips in den Tageszeitungen, in
denen auf engstem Raum lustige Geschichten erzählt werden. Manche wurden
durch die Regelmäßigkeit zu engen Freunden, deren Geschichten man immer
wieder gerne liest. Da sich die Comic-Strips nach wie vor großer
Beliebtheit erfreuen, haben nun die Verlage einen neuen, kleinen Trend
entdeckt – es ist der Trend zu Gesamtausgaben von klassischen
Funny-Strips im bibliophilen Format. Den Anfang machte der
Carlsen-Verlag mit den Peanuts und kurz darauf zog Ehapa mit Garfield
nach. Die Erfolge der Reihen scheinen den Verlagen recht zu geben, und
so liegt nun der erste Band eines Strips vor, der zu den erfolgreichsten
der letzten 30 Jahre zählt: Die Rede ist von Hägar dem Schrecklichen.
Hägar erscheint in nahezu 2.000 Zeitungen in 60 Ländern. In Deutschland
trieb er sein Unwesen zwar schon in verschiedenen Verlagen, aber eine
Gesamtausgabe stand bislang aus. Daher ist es umso erfreulicher, dass
der von Dik Browne entwickelte Strip nun in einer chronologischen
Ausgabe erscheint. Denn der querformatige Hardcover-Band versammelt etwa
620 Strips aus den Jahren 1973-1975 und ist mit einer Einführung des
Übersetzers versehen.
Hägar ist eigentlich eine Parodie auf die Doppelfunktion als modernen
Firmenchef und Familienvater. Nur dass Hägar Wikingerhäuptling ist und
sein Beruf das Plündern und das Rauben. Das Markenzeichen des Strips
sind die ständigen Irrungen und Wirrungen, mit denen Hägar konfrontiert
wird. Ständig wird an seiner Autorität gezweifelt – auch innerhalb der
Familie. So werden in dem Strip die Rollen von Mann und Frau oder die
Schwierigkeiten bei der Erziehung thematisiert. Aber auch sein Beruf als
brandschatzender Wikinger wird aufs Vergnüglichste persifliert. Nach und
nach entwickelte Browne eine Reihe von Nebenfiguren wie den Pechvogel
Sven Glückspilz, wobei die Qualität des Strips nicht nachließ.
Vielleicht liegt es einfach an der Menschlichkeit, mit der der Häuptling
seinen Wikingertaten nachgeht, und die aus Hägar einen universellen
Charakter gemacht haben.
Die Kunst des Comic-Strips liegt darin, einerseits auf engstem Raum eine
pointierte Geschichte zu erzählen und andererseits etwas sowohl für
Erwachsene als auch für Kinder zu schaffen. Browne ist dies hervorragend
gelungen. Die Strips sind trotz der Thematik harmlos und die Charaktere
sind liebevoll gezeichnet. Es ist erstaunlich, wie wohl es Browne
gelingt, mit nur minimalen Variationen immer wieder lustige
Begebenheiten aus dem Leben von Hägar zu erzählen.
Auffallend ist jedoch, dass die Strips in dieser Fülle sehr schnell
sättigend wirken und man das Buch schnell wieder zur Seite legt. Aber
beizeiten möchte man doch wieder darin blättern. Gesammelte Comic-Strips
zu lesen ist nichts für Ungeduldige. Und es sollen ja noch viele weiter
Bände folgen, denn nach dem Tod von Browne zeichnet sein Sohn Chris den
Strip bis heute weiter.
Wer also noch einmal in seinen Erinnerungen schwelgen möchte und ein
Faible für komische Wikinger hat, ist mit diesem Buch gut beraten. Aber
bei einem Preis von 29,95 € ist der Band als Geschenk-Buch wohl eher ein
Geschenk für die Eltern als für die Kinder.
Dik Browne:
Hägar der Schreckliche Gesamtausgabe 1 (1973 bis 1975)
Eine Hommage in neun Streichen von deutschen Comic-Künstlern:
"Wilhelm Busch und die Folgen"
Von Klaus Schikowski
Hier und da hört man
ein wenig
von Strizz und Flix und Moers und König,
doch der Comic steht im Rufe
des tiefsten Schunds auf höchster Stufe.
Aber ruft man: "Wilhelm Busch!"
Sofort: Trommelwirbel, Tusch!
Und schon tönt das Loblied: Freilich!
Dies Gesamtwerk ist uns heilig!"
Der
Comiczeichner Ralf König bringt es auf den Punkt. Während Wilhelm Busch
in den hohen Weihen der Kultur angelangt ist, wird der Comic weiterhin
misstrauisch beäugt. Doch sind nicht die Zusammenhänge augenscheinlich?
Daher ist passend zum Wilhelm-Busch-Jahr dem Ahnvater der
Bildergeschichte jüngst ein Comicband gewidmet worden: "Wilhelm Busch
und die Folgen" heißt dieser und die besagten Folgen sind so vielfältig
wie großartig. Der neue Sammelband bringt die klassischen Geschichten
mit zeitgenössischen Strömungen des Comics zusammen. Und feiner noch:
diese Hommage wird ausschließlich von deutschen Zeichnern bestritten. So
entsteht eine Werkschau, die die verschiedenen gegenwärtigen Stile und
Schulen vereint. Der Leser findet den Manga (Comic nach japanischer
Prägung) ebenso wie den Pantomimen-Comic und weitere Formen der
Bildfolge, mal humoristisch-locker, mal künstlerisch verfremdet oder
autobiografisch-modern.
Die
teilnehmenden Zeichner lesen sich wie ein Who's Who: Ralf König
modernisiert die Streiche von Max und Moritz und lässt die beiden nun
knollennasigen Knaben an verbotenen Gelüsten teilhaben und Volker
Reiche, der jeden Tag auf den Feuilletonseiten der FAZ mit seiner Serie
"Strizz" reüssiert, bringt die Grausamkeiten von "Willis Welt"
farbenfroh auf den Punkt. Dabei entfernt er sich noch am ehesten von den
Erzählungen Buschs, alle anderen Zeichner und Zeichnerinnen übertragen
alte Geschichten oder schwelgen in
Kindheitserinnerungen. Der Zeichner Ulf S. Graupner liefert eine
Busch-Variante im Stil des ostdeutschen Magazins Mosaik, und Ulf K. lässt seinen Bilderbuch-Charakter "Der kleine Herr
Paul" erstmals im Comic erscheinen und ihn auf den Pechvogel Hans
Huckebein treffen. Am gewöhnungsbedürftigsten ist sicherlich der wüste
Stilmix von DuO, zwei deutschen Zeichnerinnen, weil er die Popkultur
unserer Tage in grellen Mangabildern widerspiegelt und trotzdem auf eine
Vorlage von Busch verweist.
Das
ist womöglich auch die große Besonderheit des Bandes, der den
Erwachsenen und Eltern zeigt, was die Kinder heutzutage lesen und was
der Comic zu leisten in der Lage ist. Zwar können auch Kinder an so
mancher Geschichte ihren Spaß haben, aber andere Geschichten sind nicht
für ein junges Lesealter geeignet, da sie allzu wild und derb pointiert
sind. Aber damit stehen sie natürlich den Pointen von Busch in keinster
Weise nach.
Alle Zeichner des Bandes werden ausführlich vorgestellt, dazu kommt eine Einführung des Comic-Experten Andreas C.
Knigge, in der er die Entwicklung der Bildergeschichte zum Comic
kenntnis- und detailreich nachzeichnet. So ist dieser akkurat gemachte
Band in mehrfacher Hinsicht eine Aufforderung zur (Neu-)Entdeckung.
Martin Jurgeit (Hg.)
Wilhelm Busch und die Folgen
Egmont
Verlagsgesellschaften 2007
144 Seiten, 15 Euro
ISBN 978-3-7704-3173-1
Der
Rezensent ist Publizist und Fachjournalist für Comics.